Die Straßenbahn hat Verspätung. 8:01 war geplant. Die RMV-Internetseite verrät nichts. Zwanzig Minuten vergehen. Nur ein Ersatztaxi auf der anderen Seite. Dann wieder nichts. Irgendjemand läuft vorbei und redet von einem Polizeieinsatz. Ich überlege schon, doch das Auto zu nehmen. Aber Parken in Sossenheim um die Zeit…?
Endlich biegt die 15 um die Ecke. Schon gut voll aber ich bekomme noch einen Sitzplatz neben einer Frau im roten Rock, die ihre Taschen beiseite räumt und in ihr Butterbrot beißt.

Auf Höhe der Hortus-Apotheke schaue ich aus dem Fenster und sehe einen Notarztwagen, direkt daneben einen Krankenwagen hinter Absperrband, einen Polizisten, der in sein Funkgerät spricht. Und dann auf dem Boden ein weißes Tuch. Eine menschliche Gestalt.

Diese kurze Stille des Fragens. bis sich leichtes Entsetzen Bahn bricht. Ein Toter der immer noch auf der Straße liegt und nicht im Krankenwagen? War das ein Herzinfarkt oder etwas anderes? „Da war doch kürzlich in der Georg-von Treser-Strasse diese Messerstecherei“ schießt es mir durch den Kopf. Egal wie hier jemand vom Leben zum Tod gekommen ist, ich spreche ein kurzes Stoßgebet, irgendwo muss ich hin mit meiner Ratlosigkeit.

Meine innere Stille wird unterbrochen von der Schülerin schräg gegenüber „Aber deswegen muss die Straßenbahn doch nicht so lange warten.“ Kind!

Wir sind schon an der Seehofstrasse als die Frau im roten Rock neben mir anfängt sich hin und her zu wiegen und mit sich selbst zu reden. „Ich habe nichts gesehen. Ich habe nichts gesehen!“